Was haben verzweifelte Schüler, entsetze Eltern, eine Bratensoße und ich gemeinsam? Nun, das verbindende Element ist nicht Speisestärke…
Vorletzte Woche bat mich eine Freundin, die auf Lehramt studiert, ihr doch mal ein wenig zu helfen. Es ginge um ein Projekt einer Gesamtschule, an der sie ihr Praktikum absolvierte, und da wäre wohl ein Projekttag anlässlich der Jubiläumsfeier geplant. Ich schaute kritisch drein, was nicht sonderlich verwundern sollte, denn so schaue ich erstens immer und zweitens ist die Idee einer Gesamtschule meines Erachtens nach eine ganz blöde welche.. doch sei es drum!
Wir trafen uns letzte Woche auf einen Kaffee, anbei zwo Schülerinnen. Es kristallisierte sich schnell heraus, dass ich ein kleines Theaterstück planen sollte. das Budget bestand aus 5min zeit, die Requisiten beschränkten sich auf das, was man in der Aula ( = Mensa) der Schule findet. Da die lokalen Brandschutzbestimmungen leider recht hart sind, konnten meine auf dem Chemiefasching erlernten Krach-Bumm-Experimente nicht präsentiert werden …
Auf meine Frage hin, ob es denn ein Thema gäbe, Ideen oder gar einen Masterplan, schüttelten die beiden Damen den Kopf, meine Freundin schaute hilflos drein. Da saß ich nun, meine Blicke verloren sich im Schaum meines Bieres, schwiffen hin und wieder her durch den Raum, über Gäste, Eingang, Küchentür usw., blieben am Dekolleté einer Lehrerin hängen, worauf ich aber glücklicherweise ad hoc zur Besinnung kam.
Ich schaute zu meiner Freundin: „Tja nun, was darf ich denn machen?“
„Du hast freie Hand“
„Echt wahr?“
„Ja! Kannst du uns helfen?“
„OK, Mädels, wer will unter den Tisch und wer will sich präsentieren?“
Noch bevor ich die entsetzten Blicke der Damen realisieren konnte, bemerkte ich Doppeldeutigkeit meiner Phrase und korrigierte mich sogleich „Also ich meine: Wer von euch fühlt sich auf der Bühne wohler, hat keine Probleme damit, ein paar Minuten vor dem Publikum zu stehen, und wer möchte lieber verdeckt bleiben?“
Die Planung gestaltete sich ab da recht einfach, letzten Freitag tüdelte ich nach Schulschluss an den Ort des Geschehens und sprach mit den beiden Protagonisten. Das Gespräch mit der Klassenlehrerin platzte allerdings, da sie keine Zeit hatte … pöhser Fehler!
Und so trug es sich nun heute zu: Punkt 11 erschien ich mit Sack und Pack, in diesem Falle Brühwürfel, Kochlöffel, Speisestärke, und Faschingszubehör. Während die Gäste speisten, richteten meine Mädels und ich die Bühne her. Nach wenigen Minuten konnte es losgehen: Vorhang auf, Bühne frei, spartanische Ausstattung: ein Tisch mit Decke, eine Schüssel, eine Pfanne, die Packung Speisestärke und Sandra mit Schnurbart, Löffel, Karohemd und Hut. Sophie kauerte unterm Tisch, mit einer Hand (verdeckt) an der Schüssel. Meine Freundin tritt vor, verbeugt sich: „Und jetzt ein kleines Stück eines Freundes, der nicht genannt werden will…“ [erste Lacher im Publikum] „…mit dem Titel „Dialog mit einer Bratensoße“. Sie schaut mich beim Abgang verwirrt an – ich hatte ihr ja gesagt, dass sie das Stück ruhig mal lesen sollte, bevor sie es ansagt … tja …
Also Frau Soße, soll ich Sie Soße oder Sauce nennen? [kommt verbal natürlich gar net rüber, daher Totenstille im Publikum]
– Och nee Du, lass ma, nenn mich einfach B.
OK, „B“, dann legen wir mal los.
– Jau, mach ma!
Also, B, wieso bist Du eigentlich so dick?
– Na hören Sie mal, Herr M, was erlauben Sie sich denn?
Ja sorry, ich meinte natürlich: Wieso weisen Sie so eine hohe Viskosität auf?
– Ja weil du Vollpfosten wieder zu viel Speisestärke in mich reingeschüttet hast!
Nun ja, Sie blieben halt so schrecklich dünnflüssig, das passt doch nicht …
– Wozu?
Zu Schnitzel, Kroketten und Erbsen.
– Ach, da willst Du mich drüberschütten?
Och ja doch, hatte ich vor, Sie harmonieren sehr gut damit.
– Ja mei, dann kipp halt noch etwas Wasser in mich rein.
Aber dann dies überschreitet die Kapazität der Sauciere.
– Ach was reden wir heute wieder geschwollen, Herr M!
Ich bin nur freundlich.
– Ja komm, leck mich!
Ab?
– Das auch. Ach übrigens, schau mal zum Pudding rüber, der guckt so bedröppelt.
Ich glaube das liegt daran, dass er weniger dick als Sie ist.
– Weniger flüssig!
Ich glaube das liegt daran, dass er weniger dick als flüssig ist. [ein armer Irrer im Publikum lacht]
– Boah, der ging aber mächtig daneben, Kalauer liegen Dir nicht, du Nase!
Stimmt, ist nicht mein präferiertes Metier.
– Oh Mann, nu komma wieda runter ey!
Sie scheinen heute leicht aggressiv zu sein, Frau B.
– Würdest Du auch, wenn Du drei Minuten bei 90°C in der Mikrowelle drehen würdest! Und dann schließlich über solche Deppennachbarn gekippt werden würdest! [der arme Irre lacht schon wieder]
Bitte? Wer?
– Na der feine Herr Schnitzel z.B., der is so flach wie Deine Witze ey!
Und nicht die Erbsen zu vergessen!
– Ja, die auch ey! Wenn ich die schön sehe, könnt ich ’nen Pilzmantel anlegen ey! Diese verfluchte Inzesttruppe aus Rumänien ey, voll die perversen Rudelpopper! Und dann diese Farbe, pfui! [das Publikum atmet tief ein]
Aber grün ist doch normal für Gemüse?!?!
– Sagen Sie das mal der Schlampe von Tomate im Kühlfach! Die spritzt Sie gleich an!
Weil sie sauer ist?
– Nein, Holländerin! [der arme Irre bekommt Unterstützung von einer Kollegin]
So, Frau B, die Kroketten sind fertig, würden Sie sich jetzt aus der Sauciere ergießen?
– Ich übergebe mich gleich ey! Mit den Schwuchteln will ich nix zu tun haben! [„uuuuuuuuh“ aus den vorderen Reihen)
Ich darf doch bitten!
– Na ja, würden Sie sicher auch werden, wenn die wochenlang mit harten Kollegen eng zusammen in einer Tüte verbringen würden …
Nun aber mal halt! So geht es ja nun nicht! Bitte keine plumpen ideologischen Sprüche hier, ja?
– Nun reg dich ab, die Kroketten verstehen das, die sind immer gut drauf!
Trotz der Enge und Kälte?
– Deswegen ja! Stellen Sie sich mal vor, Sie wären eine Gurke!
Grün?
– Nee, lang, hart, 99% Flüssigkeit und alle tatschen Sie an … [„Oooooooooooh“ aus den vorderen Reihen]
Unschön.
– Eben! Und dann werden Sie in zig Scheiben geschnitten … unmenschlich so was!
Gurken sind doch keine Menschen, Frau B!
– Ja und? Katzen, Hunde und Dumpy J. Trump auch … und werden die deshalb immer misshandelt?
Stimmt.
– Wobei einige es verdient haben …
Sie denken da gerade an Trump, oder? (ein Raunen geht durch den Saal)
– Nee! Der Waldi von Bauer Franzhuber!
Wer?
– Na der Bauer, auf dem ich gewachsen bin!
Sie sind gewachsen?
– Natürlich, ich rede doch mit Ihnen, folglich lebe ich und dies bedeutet, dass ich einen Anfang habe und irgendwann sterbe.
Heute, in meinem Magen.
– Na das hätten Sie gern wa?
Deswegen sind wir ja hier.
– Ich dachte, Sie würden mich einfach nur gern mal durchquirlen.
Ich verbitte mir diese Anzüglichkeiten!
– Wieso? Hey, komm, Du bist ein M, ich eine Soße, nebenan hängt ein Waschbecken … lass es uns tun! [Entsetzen in den Blicken einiger Mütter]
Bitte?
– Verdünn mich! Schmeck mich ab! Gib mir Obstnamen! [die Herren lachen, die Damen sind einfach nur erleichtert]
Also bitte, Frau B, lassen Sie uns zum Thema zurückkehren.
– Pöh! Du Kostverächter!
So denn, Frau B, darf ich bitten?
– Was? Rauf auf’s Schnitzel? Auf die Erbsen?
Ja, das wäre nett.
– Hmm, Sie können eigentlich recht freundlich sein, Herr M.
Ja wieso sollte ich nicht?
– Na das erwartet man von einem Massenmörder nicht.
Wie meinen Sie das?
– Na denk mal nach, wie viele Lebewesen für Dein Essen heute krepiert sind! Eine Kuh reicht für eine Großfamilie einen ganzen Monat, aber für Dein Müsli heute früh mussten zig Weizenähren sterben, dann noch eine Banane, ein Dutzend Heidelbeeren und 20 Weintrauben!
Woher wissen Sie das denn?
– Na wir haben uns unterhalten, heute Nacht.
Im Kühlschrank?
–Natürlich, der Käse im obersten Fach hat uns seine Geschichte erzählt, tragisch so was.
Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.
– Also als er aus dem Euter gepresst wurde, war ja noch alles OK, aber dann kamen die Messer, die Folie, er hat sei Wochen weder Frau noch Kind gesehen. [der arme Irre brüllt los]
Ich hätte nie gedacht, dass mir eine Bratensoße mal die Leidensgeschichte eines Edammers erzählen würde. [endlich mal eine durchgängige Freude im Publikum]
– Ich hätte nie gedacht, dass mir ein Mensch mal zuhört.
Dann sind wir ja beide positiv überrascht worden, das Leben lohnt sich also doch.
– Na meins nicht, das endet ja in 5 Minuten
4!
Der Vorhang fällt… in diesem Falle: zwo Mitschüler ziehen ihn zu.
Die Hälfte der vll. 80 Gäste schaut verrstört drein, ein Viertel applaudiert durchaus engagiert, der Rest schüttelt einfach den Kopf. Meine Freundin errötet in Gänze, ihre Blicke gehen förmlich durch mich hindurch. Meinen beiden angehenden Schauspielerinnen fallen ganze Gebirge vom Herzen, sie lächeln leicht, Sandra kommt auf mich zu: „Das war super und es ist gut, dass wir diese Erfahrung mal gemacht haben, damit wäre dies nämlich abgehakt und wir müssen das nie wieder tun!“
Habe meine Freundin seitdem 14 mal angerufen – sie geht einfach nicht ran.
IVI für Orthy.de / 2025
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