Point & Click-Adventure à la Microsoft
Vor 22 Jahren brachte Microsoft „Windows 95“ heraus und dieses zog sogleich viel Spott auf sich. „Suchen Sie ein Point & Click-Adventure mit langer Spielzeit? Nehmen Sie doch einfach Win 95!“. Mit Win 10 knüpft Microsoft nun an diese Philosophie an… und das kann echt nerven.
Ja, damals ging man noch in den Laden oder kaufte sich eine Zeitschrift, um informiert zu sein, bezahlte im Falle des Falles 3 Mark für eine Stunde Surfen mit dem Modem… das hat sich alles „doch recht stark“ gewandelt und das hat Vorteile, denn ohne quasi permanenten Internetzugriff ist Win 10 kaum sinnvoll zu nutzen, geschweige denn zu konfigurieren. Es gibt zwar keinen „Always-on“-Zwang wie bei Konsolen und vielen Konsolen- sowie PC-Spielen, aber auch erfahrene Windows-Zocker müssen viel recherchieren, um das System anzupassen, produktiver und praktikabler zu machen.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie es Microsoft schafft, mit jeder neuen Windows-Version nützliche Dinge zu entfernen und unnützen Kram zu implementieren, so auch bei Win 10. Bei Win95 und 98 konnte man noch Komponenten bei der Installation abwählen, bis Win XP hatte man noch eine Schnellstartleiste, das Sicherheitscenter konnte man bis Win 8.1 ganz gut wegsperren, dafür sind bei Win 10 nun Cortana, das Nachrichten-Center, der Flashplayer und zahlreiche „Apps“ an Bord… die Einstiegshürde ist zwar keine echte für Pro-Gamer, aber für den Casual-Nutzer eine störende. Microsoft (wie auch Apple, so fair muss man sein) unterliegt einem großem Missverständnis: Ein Betriebssystem ist nämlich kein Alles-für-jeden-Programm, sondern etwas Individuelles und Individuen sind wir ja alle, wird in der Werbung ja auch stark betont, umso dümmer ist es, auf Gleichmacherei zu setzen. Ja, Win 10 ist ein plattformübergreifendes Betriebssystem, soll das Look & Feel auf Tablet, Smartphone und PC halt vereinheitlichen, aber diese Plattformen sind nun einmal grundlegend unterschiedlich (und auf mobiler Ebene auch trotz größter Subventionen quasi tot) uns spätestens seit dem Metro-Desaster von Win 8 sollte das Microsoft doch eigentlich verstanden haben… eigentlich.
Individualität vs. Realität
Hätte sich Microsoft einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn es bei der Installation von Win 10 (an sich eine schnelle und simple Angelegenheit, kann man nicht meckern) dem Nutzer ein paar simple Auswahlmöglichkeiten gegeben hätte?
Möchstet Du Cortana installieren?
Möchstest Du das Mediacenter installieren?
Möchstest Du werbetriefende Apps des toten App-Stores installieren?
Möchtest Du das Windows-Sicherheitscenter installieren oder lieber auf eine kostenlose, bessere, externe Lösung setzen?
Möchtest Du Edge installieren oder doch lieber auf diesen Internet-Explorer, den wir halt aus taktischen Gründen umbenannt haben, weil „Internet Explorer“ halt mittlerweile von 104% der Weltbevölkerung als abschreckend wahrgenommen wird, verzichten?
Die Philosphie dahinter ist eine simple, eine alte, eine logische: „Was nicht installiert ist, kann keine Sicherheitslücke sein, nicht mal eine potenzielle.“
Aber nein: Microsoft setzt stur auf die One-Click-Installation (die immerhin datenschutzrechtliche Optionen bietet und ein paar Auswahlmöglichkeiten bei der (Nicht)Nutzung von Features). Was doppelt kurios ist, denn es gibt Win 10 ja auch ohne Mediacenter (die Version „N“), warum also nicht ein Preset für „Standard Desktop Nutzer“ ohne Cortana & Metro-Style? Und wie auch schon zu Win 2000-Zeiten lassen sich inviduelle ISOs erstellen, Winreducer sei Dank. (Achtung: Zeitfresser und nur für versierte Anwender ampfohlen!), weil Microsoft an die großen OEMs und Systemhersteller denkt (Dell, Acer, Toshiba etc. pp) und denen die Möglichkeit gibt, aktualisierte und angepasste Windows-Versionen zu erstellen und zu installieren. Wo bleibt aber der Endkunde? Also der, welcher richtig Geld ausgeben muss, um an eine normale Windows-Version zu kommen und nicht für ein paar Euronen eine Lizenz erhält?
Level 1
Es ist schon eine Frechheit, dass man bei einem 259 € teuren Programm (dem teuersten Windows Pro aller Zeiten) nicht mal gefragt wird, ob man die gesamte Feature-Vielfalt haben möchte. Volkswagen bietet ja auch nicht jedes Auto ausschließlich in der Top-Aussattung an, weil eben nicht jeder Nutzer Allrad, 6 Zylinder, 12 Airbags, eine Klima-Automatik und ein Kofferraum-Hunde-Rückhalte-Netz möchte… und das macht VW vollkommen zu Recht!
99,9% der Nutzer sitzen vor dem PC, mit Maus & Tastatur, zwar kann man Cortana deaktivieren, aber um es loszuwerden, muss man tricksen. Selbiges gilt für OneDrive, das herzlich nutzlose Mixed-Reality-Portal und natürlich für die ganzen Bloatware-Apps. Kauft sich jemand eine Couch, die ein Zelt beinhaltet, eine Kochplatte und einen Regenschirm? Ja, Camper, aber ein solcher ist ja nun wahrlich nicht jeder (nicht einmal bei Counter Strike).
Tja, und dann dann fehlen natürlich noch Dinge, die man nicht missen möchte, die Schnellstartsymbolleiste, ein sinnvolles, schönes, funktionales, aufgeräumtes Startmenü, ja selbst die Clear-Type-Einstellung, die Schriftart-Optionen und die Schrift-Schatten-Einstellung sind (bei der neusten Version „Creators Update“) nicht mehr an Bord. Der Käufer, ähm, der Spieler wird also mit zahlreichen Quests versorgt, die keinesfalls leichter als die bei The Witcher, Mass Effect, Skyrim und Co. sind. Und dann gibt es natürlich noch die Hot-Keys, den Schnellzugriff, den man gern mal entwirren möchte.
Hat der Spieler sein Inventar dann aufgeräumt, steht er vor dem nächsten Problem…
Auto-Level-Up und blöder NPC
Möchte man seine erworbenen Skill-Punkte selbst verteilen? Bei Computerspielen stellt sich diese Frage gar nicht, bei Win 10 hingegen schon. Die Apps kann man töten oder wenigstens stummschalten, beim Hochleveln allerdings hat Microsoft echt einen Bock erster Güte geschossen. Der NPC namens „Windows Update“ meldet sich gleich zu Beginn des Spiels und ist ein Begleiter, den man nicht wirklich loswerden kann. Er ist nerviger als alle drögen Begleiter aus Mass Effect, aber halt wichtig, möchte man keinen Crash erleben. Microsoft sieht Win 10 als Betriebssystem „as a service“, also einer steten Verbesserung unterliegend, ohne die klassischen Patch-Days und Service-Packs, aber auf die Idee, die automatischen Updates derart nutzerunfreundlich zu gestalten, muss man erstmal kommen… das lappt vom Dummen ins Dreiste. Wieso sollte man ein Update für ein Programm installieren, welches deaktiviert ist und nicht genutzt wird (z.B. Windows-Defender) und warum sollte ein Treiber für Hardware aktualisiert werden, die nicht mehr im oder am System steckt? Das Quest-Log des Spielers ist bei diesem Aspekt kein kurzes, Lesen ist Pflicht und einen Königsweg gibt es leider nicht.
Endgame und das Gegenteil von „imba“
Respekt muss man Microsoft aber zollen, wenn es darum geht, den Spieler bei der Stange zu halten, sodass es ihm nicht langweilig wird. Bei der Konkurrenz ist man irgendwann übermächtig, die Gegner keine Herausforderung mehr („imba„), bei Win 10 wird man aber bis zum bittern Ende gefordert. Von „Diese App kann als Administrator nicht geöffnet werden“ über die richtige Datenträgerbereinigung (inkl. WinSXS!) und das mächtige Schwert namens „Ultimate Windows Tweaker“ einer traditionsreichen Gilde bis hin zum Feintunig der für Sicherheit (Anonymität) zuständigen Rüstung (z.B. O&O ShutUp10 oder der alte, mittlerweile Win 10-kompatible Magier-Orden namens XP AntiSpy) wird der Spieler umfangreich gefordert und genießt eine stramme Lernkurve.
Apropos alt: Weil „neu ja nicht immer gleich besser ist“, möchte man vielleicht auch ältere Ausrüstung nutzen, hierfür bietet es sich auf jeden Fall an, mal zum Schloss-Magier zu gehen und sich dort den AIO Runtimes Zauberspruch zu besorgen (bekommt man kostenlos, ohne Quest, nur ein kurzes Gespräch). Der buffed die Kompatibilität und hält ewig!
Bossgegner und Grande Finale
Wie schon bei den Vorgängerspielen schränkt Microsoft den Spieler trotz aller Möglichkeiten des Tweakens und Tunens grundlegend ein. Das Match-Making funktioniert daher nicht immer reibungslos und bei der Balance wurde abermals unnötig übertrieben. So wird ein simpler Skin (ein Desktop-Hintergrundbild) genau so vom Superboss (dem „Trusted Installer“) geschützt wie eine systemrelevante Rüstung (z.B. shell32.dll oder control.exe) – eine herzlich sinnfreie Aktion! Denn es soll ja schließlich ja nicht ein Kampf zwischen Microsoft und Nutzer sein, sondern ein gemeinsamer Kampf für erfolgreiche Quests (Produktivität und Komfort) sowie gegen Cheater (Viren), dafür muss Microsoft aber endlich einmal verstehen, dass nicht alle Spieler das Spiel auf dieselbe Art und Weise zocken, dieselben Skills aufweisen oder dieselbe Erfahrung. Auch ein Point & Click-Adventure kann ruhig mehr Freiheiten bieten, angefangen von der Installation bis hin zu Desktop-Icons und Nutzerklassen. Es sind eben nicht alles dumpfe Orcs, es gibt auch Fans gewitzter Goblins und schlauer Waldelfen! An diese darf man ruhig mal denken… vielleicht ja dann bei „Windows One“, wenn es denn erscheint… Android macht es vor, bitte aber nicht das optionale Rooten vergessen!
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