gut gefiltert ist schon halb gewonnen

Fake-News, postfaktische Zeiten, Lügenpresse, Untergang der Leitmedien, Trump, AfD… es ist keine schöne Zeit für Medientreibende und Rezipienten, dabei könnte man es sich auch relativ schnell einfacher machen, Unsinn umschiffen und Ressourcen in etwas investieren, was sich  „Lösung“ nennt.

Das gab’s schon mal
Was Facebook, Twitter, Youtube und Co. an Kommentar- und Inhalts- sowie Kommunikation(un)kultur momentan erleben, gab es schon zur Jahrtausendwende schon, damals in Internetforen, noch fernab des massenmedialen Fokus‘, aber genau so intensiv. Ob rechtsradikale Foren, Nerd-Foren mit Flamewars oder politische Diskussionen in allen möglichen Foren: Es ging hoch her, sehr unfreundlich, sehr überspitzt, mit Vorurteilen durchsetzt, mit Lügen, mit Unsinn, mit Trollen, mit Pseudo-Fakten etc. pp. Wollte ein Forum, ein allgemein zugängliches wohlbemerkt, „überleben“, musste es ein Moderationssystem etablieren, d.h.: dass ein Beitrag vor der Veröffentlichung oder aber nach der Veröffentlichung auf Hinweis von Nutzern überprüft wurde. Entsprach ein Posting nicht einem gewissen Standard, wurde es gelöscht, der Nutzer mit einem Malus belegt (Punkte-System ähnlich wie in Flensburg) und ggf. (temporär) gesperrt – Möglichkeiten gibt es viele, Varianten ebenso, kein System muss fix sein, eine Einzelfallprüfung kann man nie ausschließen, aber schon simple Filter wie „kick the bad words“ (Beleidigungen), die dafür sorgen, dass bestimmte Begriffe die Veröffentlichung des Postings verhindern, waren effektiv und können es auch heute noch sein (mit ensprechendem Wörtbuch). Dass umfangreiche Moderationssysteme aktuell bei keiner der großen Social Media-Plattformen installiert sind, zeigt auf, dass Masse vor Klasse geht, was natürlich grundlegend daran liegt, dass die Plattformen durch Klick (also die geschaltete Werbung) Geld verdienen. Es ist für die Plattformen also ideal, wenn ein Post polarisert und sich idealer Weise 50% der Rezipienten aufregen und die anderen 50% das Posting verteidigen – egal mit welchem Inhalt, egal mit welchem Anliegen, egal wer wann was macht… man muss kein Kommunikationswissenschaftler sein, um schnell zu verstehen, dass hier keine zielführende Diskussion entstehen kann.
Also? Ganz einfach diese Plattformen meiden oder aber – als erster Schritt – ganz unabhängig von bisherigen Postings seine persönliche Auffassung formulieren und damit das Thema abhaken. Doch Obacht: Youtube wertet mittlerweile Interaktionen höher als alles andere, mit dem Kritisieren (Kommentieren oder „Daumen-Runter“) eines Beitrags pusht man just diesen, daher ist tatsächlich das Ignorieren ist den meisten Fällen die besten Option.

Wut, Zeit und Geld
Dass man sich über etwas aufregt, was „ganz offensichtlich einfach Schwachsinn ist“, darf durchaus als menschlich bezeichnet werden, aber just mit dieser normalen Reaktion, die ja sehr, sehr, sehr oft provoziert wird, wird man Teil der Kommunikationsunkultur und somit ein „Zahnrädchen im System“. Geht es um den Entertainmentbereich, ist das an sich kein großes Problem, denn es geht genau um gar nichts. Ob Gangsta-Rapper, Beauty-Channel-Pseudo-Sängerinnen, Daily Soaps oder Sport, ob Musik oder Belletristik: Streiten lohnt sich nicht und je mehr Distanz man zu einem Phänomen entwickeln kann, desto gesünder lebt man und desto mehr Zeit hat man für sinnvolle Sachen. Man könnte es auch knallhart so formulieren: Durch die provozierte Wut beim Rezipienten verdient der Anbieter Geld, raubt dem Rezipienten Zeit und Nerven und stärkt sogar das Angebot, sodass der Rezipient noch mehr Zeit und Nerven investiert und der Anbieter noch mehr Geld einnehmen kann.
Also: Mal in sich gehen und fragen: Will ich das?

Frühzeitig abschalten und wegklicken
Sitzt man vor dem TV und zappt man gemütlich durch, stößt dabei auf eine Sendung wie beispielsweise die ganzen Reality-Shows, zappt man einfach weiter. Selbiges gilt z.B. für Sport, für Musik, Game-Shows, für Spielfilme… na eigentlich für alles, was einen nicht interessiert. Der Rezipient kann also durchaus schnell Infos aufnehmen, filtern und dann entscheiden, dass diese Info irrelevant ist und es sich eben nicht lohnt, auch nur eine weitere Sekunde zu investieren. Warum kann er das? Weil er Erfahrungen hat und zwar genügend, um schnell ein Urteil zu fällen. Just dieses fällt aber nicht so einfach, wenn es um etwas geht, was ihn interessiert und wo er unerfahren ist. Aufgrund der Informationsmenge, die ja stetig in unfassbarem Maße zunimmt, geht aber immer mehr zeit dadurch verloren, dass man erst einmal analysieren muss, ob etwas relevant oder irrelevant ist. Wie kann man da denn Zeit sparen? Woran erkennt man denn Fake-News? Was ist wahr oder inszeniert? Hochtrabende Antworten gibt es viele, Anmaßungen auf den perfekten Weg ebenso, aber seien wir mal realistisch: Das kann gar nicht klappen. Aber (und es ist schön, dass es ein Aber gibt) ein paar Indikatoren darf man auf jeden Fall mal anführen:
1. Sind in Überschrift und Eingangstext Schreibfehler (nicht schnöde Tippfehler!) vorhanden?
2. Ist das Teaser-Bild optisch sehr auffällig und bietet Personenbezüge (z.B. Gesichter)?
3. Sind Begriffe wie „wahr“, „neu“, „Sensation“, „Top 10“, „jeder“ und/oder „Achtung“ bzw. passende Synonyme vorhanden?

Wenn auch nur eine der Fragen mit „ja“ beantwortet werden kann, sollte man den Beitrag, das Video etc. pp. einfach meiden, denn dem Verfasser geht es um Reichweite, nicht um Inhalt, SEO geht vor Informationsgehalt und Emotion vor Fakten. Die Chance, dass die Nützlichkeit des Beitrags auch nur leicht über Null liegt, ist sehr gering. Das gilt nicht nur für Youtube oder Facebook, das gilt für die Printwerke (ja, siehe Paradebeispiel und Klassiker namens „BILD“) und für den Wahlkampf (ja, stimmt, auch so ein Paradebeispiel und Klassiker) und generell für Herrschaftssysteme und Nachrichten (deswegen haben Religionen auch Propheten und Parteien und Firmen Pressesprecher). Just dies zeigt auf, dass man ja eigentlich doch tatsächlich über Filterwerkzeuge verfügt, man muss sie nur universell einsetzen.

Abschließend noch ein Satz an Google und die SEO-Verfechter: Die Grundregeln bzgl. Lesbarkeit, Wortwiederholungen, Wort- und auch Satzlänge sind nicht nur nicht förderlich für die (ja, auch deutsche) Sprache, sondern sind schlicht und einfach eine Forderung der allgemeinen Nutzung des Artikulationsniveaus, welches gerade einmal auf Grundschulniveau liegt, und somit in der Realität ein peinlicher Abgesang auf die Schreibsprache, nämlich die Kapitulation vor der Komplexität und ein Eingeständnis der mangelnden Auffassungsfähigkeit des Lesers.

JS für Orthy.de, C2017