Lara reloaded

Tomb Raider 2012Die Ikone ist tot, die neue Ikone lebt.  Die Karriere, die vor 17 Jahren, ja, solange ist es her, noch als Mischung aus wenigen Polygonen und viel Silikon begann, siechte über einige Jahre und Titel dahin, galt eigentlich schon als beendet, doch Totgeglaubte leben länger und das ist manchmal gar nicht so schlecht. Es sei aber gesagt, dass Ms. Croft nicht gänzlich glänzen kann, was jedoch nicht am Outdoor-Outfit liegt, sondern an gewissen game-mechanischen Aspekten.

Ich weiß nicht, ob Lara der erste weibliche Superstar in der Computerspielebranche war, einer der bekanntesten ist Ms. Croft aber auf jeden Fall, wenn nicht gar Nummero Uno. Das lag einerseits an ihren weiblichen Vorzügen, welche Teenager schnell in ihren Bann zogen, doch auch das Spielprinzip als solches war fesselnd. Es ging um Timing, um Springen und Schießen, um teils knackige Rätsel und das alles in einer schicken 3D-Welt. Manchmal war es unübersichtlich, es war oftmals frustrierend, den Kauf des Lösungsbuchs konnte man stets im Hinterkopf haben, wenn man sein Taschengeld tatsächlich in Tomb Raider investieren wollte.
Es hat sich viel getan, die Entwicklung schritt voran (samt aller idiotischen Auswüchse) und Lara konnte nicht mehr schritthalten, also mitspringen. Da aber Ms. Croft mit ihrer Rente nicht zufrieden war, Crystal Dynamics in Erinnerungen schwelgte und Square Enix noch Verkaufspotenzial sah, kam Ms. Croft unters Schönheitsmesser, wurde auf 21 Jahre verjüngt, verlor eine weitere Körbchengröße und gewann … Charisma.
Sie will nicht stranden, sie will nicht klettern, sie will nicht schießen, weder auf Tiere noch Menchen, sie hasst Gräber und fällt permanent irgendwo runter, überlebt eher durch Glück als durch Waffen oder Hüpfen – und man glaubt ihr das! Nicht die Abenteuerlust einer Aristrokratin, sondern das Pech einer Jungarchäologin ist die Triebfeder der Geschichte, die zwar einen klar zu starken mystischen Touch hat, aber in sich wenigstens stimmig ist, was man heute ja nur sehr selten behaupten kann.

Es ist fast unglaublich, welche rückschläge Ms. Croft hinnehmen muss, wen sie alles verliert, wie sie sich entwickelt, hin zur harten Dame, die stets aber ihren weichen Kern behält. Ja, das ist nicht neu, für Tomb Raider aber schon. Bis dato gab es nämlich keine wirkliche Story, keine Entscheidungen mit Folgen, keine Rückschläge –  auch wenn man, vollkommen zu Recht, die generelle Entwicklung des Action-Genres invielen Punkten kritisieren darf, so sind Storytelling und Charakterzeichnung doch klar positiv zu bewerten. Man darf sogar soweit gehen, zu behaupten, dass es bei TR eine Qualität erreicht hat, die nur ganz selten zu finden ist, selbst wenn man vor schlechtem Humor und Pathos triefende Nullhirnspiele wie CoD, Bulletstorm und Co. mal außen vor lässt. Warum genau diese Spiele als Vergleich herangezogen werden? Nun, mit der Härte kommt der Kampf,  TR ist schließlich kein 3D-Jump-Spektakel, sondern schell wird der Spieler zum Piloten einer Lara, deren Bodycount dem von Max Payne in nichts nachsteht.
Das ist natürlich einer der Kritikpuntke im Spiel überhaupt, vor allem jene, die Lara aus ihren Minimalpolygonzeiten noch kennen, dürfen Probleme mit der neuen Ms. Croft haben, denn das wegpusten ganzer Gegnerhorden ist ja nun nicht wirklich TR-typisch. Lara wurde neu erfunden, das tat der dahinsiechenden Serie gut, mögen muss man es dies nicht, gleichwohl darf man es aber. Mit der entwicklung hin zum 3rd-Person-Shooter gingen aber auch einige Entwicklungen einher, die man ganz und gar nicht gutheißen muss, und wie sollte es anders sein, sind hier explizit Steuerung und Kamera und Quicktime-Events zu erwähnen. Das wohlgetimete klicken von Buttons ist ein klarer Indikator für Einfallslosigkeit, die für einen höheren Schwierigkeitsgrad sorgen soll, den Spieler fordern, klickerprobte Spieler können da natürlich nur müde lächeln. Das Lachen vergeht aber der störrischen Kamera, die keine volle Bewegungsfreiheit erlaubt, besonders in einigen Kletterszenen, die zudem zu oft eingreift und Blickwinkel vorgibt, unsinniger und leider typischer Weise für die Neuzeit auch nocht unsäglich wackelt – wie in vielen neueren Actionsfilmen wird mit der Wackeldackelcam nämlich Action simuliert, Dynamik vorgegaukelt – was ist nur aus der guten, alten Steadycam geworden? Früher erkannt man schlechte Filme an der wackligen Cam, heute ist es ein prägendes Stilelement. Unschön!
Eines meiner Lieblingsthemen ist ja seit geraumer Zeit die umgebungsabsolute Steuerung, v.a. in 3D-Spielen und v.a. bei Konsolen ist diese Steuerungsart sehr beliebt, sie soll einen einfacheren Zugang ermöglichen, ist in der Praxis für alle jene, die auch nur über ein Mindestmaß an Koordinationsvermögen verfügen, aber grauenvoll. Es ist schlicht und einfach falsch, schlecht, blöd und unpraktisch, wenn es kein Strafen mehr gibt! Steht man einen Meter links neben eines Schalter, dreht sich kein Mensch um 90 Grad, um dann einen Meter zu laufen und sie wieder um 90 Grad zu drehen … nö, man geht einfach einen Schritt nach links und nutzt das, was sich allgemein als „Arm“ bezeichnen lässt. Mit der Änderung des Blickwinkels geht bei der umgebungsabsoluten Steuerung auch immer das Ändern der Bewegungsrichtungstasten einher – abgesehen davon, dass übersichtliche Kameraschwenks und das gleichzeitige, präzise Richtungslaufen nicht mehr möglich sind, ist es genau dann doppelt ungünstig, wenn auch noch die Maussteerung für Richtungsänderungen sorgt. Man stelle sich ein Auto vor, dass mit Lenkrad und Joystick gelenkt wird – das kann ja nicht komfortabel sein! Wie schon bei Mass Effect (Charaktersteuerung und die vom Mako) fragt man sich, wieso die Programmierer nicht endlich kappieren, wie man es richtig macht, wieso scheinbar ungeübte Spieler eher im Fokus stehen, als jene, die auch Shooter zocker, wo ein Strafen ja eine absolute Grundbedinung ist und sich kein Entwickler wagen würde, Seitwärtsschritte aus dem Bewegungsportfolio zu nehmen.

Auf das einfache Modifikationssystem hätte man auch verzichten können, das Schrottsammeln für die Upgrades der Waffen ist so lächerlich simpel, dass es keinen wirklichen Sinn erfüllt, nur als Notnagel wirkt, als ein „irgendwie müssen wir Rollenspielelemente einbringen“. Entweder richtig (unterschiedliche dinge mit unterschiedlichen Zweck) oder eben gar nicht – das lineare Gedöhns kann man sich sparen.
Apropos linear: Die Story ist es, ein Entscheidungssystem fehlt, Freiheiten im Level sind gering, alternative Wege gibt es kaum – der Schlauch hält auch Lara fässt in seinen Grenzen, so dramatisch wie bei CoD oder MoH wirkt es aber nicht, das Level-Design ist nämlich gelungen, obgleich hier und da die Designer ruhig mehr Kreativität an den Tag hätten legen können.

Lara anno 2013 ist tough, das ist gut, das macht Spaß, das verbindet. Lieblos ist das Spiel nicht, Potenzial wurde dennoch verschenkt, weil sich TR nicht ganz entscheiden konnte, welchen Weg es gehen will. Zu simpel für einen echten 3rd-Person-Shoter, zu simpel für ein Rollenspiel, zu actionlastig für ein Spung-und-Kletter-Spiel, zu verkonsolisiert für den geübten PC-Nutzer. Glücklicher Weise aber auch zu intensiv für ein Nebenbeispiel, zu abwechslungsreich für einen Realo-Shooter, zu real für Märchengedaddel und Japano-Kinderkram. Der Neustart hat TR gutgetan und wenn, diesen Spruch gibt es eigentlich fast immer bei mir zu lesen, die Entwickler für den kommenden Teil (man darf davon ausgehen, dass einer kommen wird) den grundlegenden Stil mal festlegen und ein wenig Mut zeigen, dann wird TR 2014 ein echter Kracher. Dann vielleich ja auch mit schönen Texturen statt verspielten TressFX-Haaren.

So, was will der Leser noch? Genau: Lara in Großbild!




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