Die schmerzende Knie von Himmelsrand

Von vielen lang erwartet, mit großen Hoffnungen verknüpft, nach dem Erscheinen mit Lorbeeren überhäuft und unzähle Threads in Foren füllend – ja, „The Elder Scrolls V – Skyrim“ hat wahrlich eingeschlagen. Die Modder-Community hat ein neues Lieblingsspielzeug, die Grafikfetischisten ebenso, Wortakrobaten überbieten sich mit kreativen Lobphrasen und ein grimmig dreinschauender Redakteur fragt sich, warum eigentlich so viele unter Sehstörungen leiden.

 

 

Eines vorweg: Skyrim ist wohl eines der besten Spiele des Jahres und hat Lob und Anerkernnung in gewissen Maßen auch absolut verdient, aber Begriffe und Aussagen wie „Referenz“ oder „quasi perfekt“ sind dann doch ganz klar übertrieben.

Es liegt wohl an der schnelllebigen Welt, dass man sich oftmals kaum noch Zeit für die Details nimmt, dass man rennt statt zu spazieren, dass man Dinge nicht hinterfragt, weil schon dieser Akt so viel Zeit kostet, dass man zügig ins Hintertreffen geraten kann, doch auch ich als Systemkritiker gönne mir dann und wann mal die Muße, auf Randaspekte zu schauen. Gerade weil ich dies tue und gerade bei Skyrim, so muss ich doch feststellen, dass der Spagat bei vielen Bewertungen und Betrachtungen schlicht missglückt ist.

Ich will gar nicht so auf der teils unterirdischen Performance (v.a. bei Nacht), auf ausdruckslosen Gesichtern, haarsträubenden Qualitätsunterschieden bei Texturen sowie Effekten oder seltsam hölzernen Animationen herumreiten, denn technisch ist Skyrim nun einmal an die Konsolen gebunden, somit kann keine grafische Sensation entstehen, nein, ich werfe lieber mal einen Blick auf das Gameplay, die NPCs, die KI und dieses Phänomen, welches sich „Logik“ nennt.

Als Bogenschütze hat man es nicht immer leicht, das ist auch gut so, aber müssen die Pfeile denn so dermaßen langsam fliegen, dass Gegner selbst auf eine Distanz von 25 oder 30 Metern ausweichen können? Und muss die KI im Zusammenspiel mit der Grafikengine dafür sorgen, dass Gegner pünktlich nach Abschuss des Pfeils hockend 2 Meter durch die Gegend gleiten?  Das sind keine Zufälle, keine einzelnen Fehler, das ist reproduzierbar ein Teil des System, ein unschöner!

Unschön ist es auch, wenn ein gegnerischer NPC an mir, „wohlversteckt“ in einer Ecke, vorbeiläuft, direkt in meine Richtung schaut und obwohl ich keinen Unsichtbarkeitstrunk konsumierte habe, mich doch nicht entdeckt.  Auch in Gesprächen, die übrigens keine Handlungsfreiheit bieten, starren mich alle an, verdrehen gar seltsam ihre Hälse. Im Gegensatz dazu darf ich dann mit Händlern reden, während die mit dem Rücken zu mir stehen. Stehen darf man auch gern mal, wenn es einen Kampf gegen einen Drachen gibt, denn dieser vollführt wunderbar idiotische Flugmanöver, die Bahnen der ach-so-heftigen Gegner sind aber so lächerlich gestaltet, dass man einfach an einer Hausecke stehen und dem Schauspiel über Stunden beiwohnen kann. Gänzlich absurd agieren die fliegenden Frost- oder Feuerspucker dann, wenn sie sich mit der heimischen Fauna anlegen: Minutenlange Kämpfe gegen einen Höhlenbären oder zwei dröge Wölfe lasse  an Kampfkraft und Hirn des Drechen zweifeln, vor allem auch weil die Fauna eine super Ablenkung ist. Hat man gerade keinen Bock darauf, mal wieder einen Drachen zu töten, rennt man etwas durch die Gegend, bis man auf eine Riesenspinne, ein Walross oder einen Hirsch (!) trifft, rastet dann, um dem Schauspiel der verfehlten KI beizuwohnen. Dies kann man übrigens auch, wenn es um „große Schlachten“ geht, denn die Ruckelorgien, bei welchen man an der Seite einiger NPC gegen aus dem Nichts auftauchende NPC kämpft, sind an Chaos kaum zu übertreffen. Ein Getümmel ist es nicht, eher ein Gewackel samt unglaublicher Anhäufung von schnöden Sprüchen.

Gerade beim Sound schwächelt Skyrim enorm, während die musikalische Untermalung noch druckvoll Spannung erzeugt, das Geschehen widerspiegelt, hört der Spaß ad hoc auf, wenn ein NPC den Mund öffnet. Dies liegt nicht primär an der Lippensynchronität, die weder im Englischen noch im Deutschen vorhanden ist,  sondern am Inhalt. Stets und ständig die gleiche Worte, quer durchs Königreich gereist um binnen weniger Sekunden 4 mal zu hören, dass Wache XYZ früher ja auch mal ein Draufgänger war, dann aber einen Pfeil ins Knie bekam – wenn es eine Krankenversicherung in Himmelsrand gäbe, würde diese wohl den Großteil des Geldes für Kniespezialisten ausgeben müssen. Ich will auch nicht zig mal von einer Azubine auf dem Markt vom Weißlauf hören, dass sie oft auf dem Markt von Weißlauf ist, nicht von der Schmiedin, den stete Verweis darauf, dass man auch mal im Laden vorbeischauen soll, nicht vom Assistenten des Gemischwarenhändlers, dass er für den Gemischwarenhändler arbeitet und man doch mal zu ihm gehen solle, um Gemischwaren zu kaufen. Vor 5 Jahren wurde 5-minütige Werbepausen auf MTV und VIVA damit gefüllt, das 10 mal hintereinander ein blöder JAMBA-Fosch, ein blödes JAMBA-Küken oder ein blödes Irgendwas für einen Klingelton warb, das wurde dann untersagt, aber bis ins Königreich Himmelrand reicht der Arm des Gesetzes nicht. Liegt’s am Kummer über das kaputte Knie?

Kummer macht mir auch mein trautes Heim in Weißlauf: günstig erstanden, super ausgestattet, doch in einem Bette kann ich nicht nächtigen, denn ist es „(fremd)“, da für den Begleiter gedacht, den ich aber nicht habe (dazu gleich mehr). Dafür habe ich eine Laute, eine Flöte und eine Trommel im Inventar, die mir nicht gehören, die ich nicht haben will, die nach Abschluss der dazu passenden Quests bei der Bardenakademie aber nicht aus meinem Inventar verschwanden und dies auch Stunden später strikt nicht wollen. So schleppe ich also unnützen Plunder mit mir herrum, u.a. auch ein Amulett, einen Bogen, einen Zauberstab, zwei Bücher und einen Ring … alles schränkt eine ganz wichtige Ressource nachhaltig ein: die verbleibende Tragfähigkeit. Hätte ich mich auf den Nahkampf und schwere Rüstungen spezialisiert, würde ich echt sauer sein. Doch nicht nur deshalb, denn Verzauberungen sind stets ganz speziell. Ist man beim Vorgänger Oblivion noch mit einem Bogen durch die Lande marschiert, der beim Gegner Blitz-, Feuer- und Frostschaden anrichtete, wird man bei Skyrim auf einen Zauber beschränkt. Die Folge:  Man trägt eigentlich immer mindestens 3 Bögen mit sich herum, vll. sogar einen vierten, denn Seelen möchte man auch noch fangen.

„Hasch mich! Ich bin dein Gegner“ lautet eines der beliebtesten Spiele in Skyrim, denn wo der Avatar hingelangt, kommt oft ein NPC nicht hin. Das springfaule Pack ist halt zu blöd dafür. Für Bogenschützen ist dies eine Erleichterung, die wohl kaum so beabsichtigt war, für Nahkämpfer eine tolle Erholungspause. Es huschen vor einem die Daedra-Krieger herum, sondern ihre üblichen Floskeln dutzende Male ab, und man hockt am Felsen und schüttelt nur das Haupt.

Durch das Haupt von Ulfrik Sturmmantel, dem wenig charismatischen Anfrührer der Rebellen, fließt seit Tagen kein Blut mehr, ein Giftpfeil hauchte dem Großmaul das Leben aus, doch die Jarls (Fürsten) meinen noch immer, dass der Tod des Widersachers den Krieg beenden könne – komisch, dass sich solche Neuigkeiten nicht verbreiten, wo doch die Info des  Todes eines der vielen Drachen binnen Stunden ans Ende des Königreiches gelangt.

Wohin Lydia, meine vom Jarl abgestellte Begleitkämpferin, verschwunden ist, weiß ich übrigens nicht. Ich verließ irgendwann mal eine Ruine der alten Zwergenzivilisiation und seitdem ist sie verschwunden. Einmal fand ich sie an meinem Bette vor, ob sie sich da wohl fragte, ob das Bett extra kostet, dabei die Zeit und die Befehle vergaß und dies nun wieder geschah? Vielleicht am Tempeltor der Zwerge? Oder an irgend einem Baum irgendwo ins Himmelsrand? „Where is Waldo?“ hieß es früher, „Where is Lydia?“ schalt es heut durch den virtuellen Raum.

Wo ein gescheit gestaltetes Inventar abgeblieben ist, darf auch gefragt werden, denn das Modell, welches man bei Skyrim vorgesetzt bekommt, passt eher zu Modern Warfare oder einem beliebigen 0815-Shooter, nicht aber zu einem Rollenspiel. Der grafische Stil ist kalt und blechern, es gibt keinen Baukasten, keinen Rucksack, kein Drag-n-Drop, dafür eine Maussteuerung, die oft nicht funktioniert (wie auch bei der Belegung der Tasten – Konsole ahoi!) und durch die Tastatur umständlich ersetzt werden muss. Es hat ja nicht alles so verspielt zu sein wie bei Oblivion, Two Worlds oder Divine Divinity, aber ein grauer Strich ist nunmal kein Buchstabe, ein Pappesel kein Rasseschimmel und ein Dreirad kein Lamborghini. Der oft überstrapazierte Begriff „immersion“ ist hier ausnahmsweise mal erlaubt zu erwähnen, nur halt leider als Negativbeispiel, denn die Nutzerschnittstelle von Skyrim holt einen dann doch immer wieder in die schnöde Realität zurück.

Tja, trotz einer Unmenge an Fehlern, die teils extrem nerven und die an sich tolle Athmosphäre mächtig trüben, ist Skyrim absolut spielenswert, nur sollte man eben keine hohen Ansprüche stellen. Das könnte man vielleicht auch mal den Kollegen von GameOne flüstern, die all ihr kritisches Denken beiseite gelegt haben und Skyrim aufs Heftigste bejubeln. Ich für meinen Teil tröte: „Liebe Leute von Bethesda, ihr solltet alle mal Skyrim spielen, über viele Stunden, und dann denkt beim nächsten Versuch bitte an das, was ihr erlebt habt!“

JS für Orthy.de, C2011