The Witcher 2: eine Hardcore-Lachnummer

The Witcher 2 ist kein gewöhnliches Action-Rollenspiel, es ist kein „Kinderkram“ wie Gothic 4 oder Fable, es wird kein Blatt vor den Mund genommen (die deftige Ausdrucksweise fand schon im ersten Teil viele Fans), es geht blutig, knüppelhart und so gar nicht jugendfrei zur Sache. Die Basis für ein „gutes“ Spiel, eines, welches nicht von der grassierenden Casualitis befallen ist, könnte also existieren, doch leider bleibt es beim Konjunktiv.

 

 

Sex, Blut und kein Rock ’n Roll – GTA auf Mittelalterkurs? TW2 ist rundum „deftig“, bietet eine feine Optik, interessante Charaktäre und eine spannende Geschichte, die sogar richtig gut erzählt wird, doch damit hört die Liste der positiven Eigenschaften auch schon auf. Lässt man individuelle Wünsche wie Charaktergestaltung, Open-Word-Setting, grafische Effekte, Systemanforderungen usw. heraus  und unterstellt dem Release-Day-Patch (400 MB) wohlwollend, dass er die meisten technischen Probleme behebt, so kann man sich der Sphäre widmen, die gern nicht kritisch genug betrachtet wird.

Schon bevor man überhaupt losspielen kann, geht es an die Konfiguration: neben der Grafik ist hier natürlich vor allem die Steuerung von Bedeutung. Schon allein dass dieser Punkt überhaupt betrachtet werden muss, lässt Schlimmes erahnen, und tatsächlich kommt es auch so. Eine inverse Y-Achse der Maussteuerung und das Nutzen der Richtungspfeiltasten sieht das externe (!) Config-Menü gleich mal gar nicht vor, man muss schon die entsprechenden .ini-Dateien per Hand bearbeiten. Linkshänder (die mit WASD nicht wirklich glücklich werden) und Anhänger der Flugzeugsteuerung müssen also erstmal eine herzlich unnötige Vorarbeit leisten. Im Spiel lässt sich die Steuerung ja nicht anpassen, ein häufiges unkomfortables Ändern ist gut möglich. Ist man dann im Spiel angekommen, wird sogleich der zweite Steuerungsaspekt, der klar auf eine VerKONSOLisierung hinweist, deutlich: das Strafing gibt es nicht, die umgebungsrelative Steuerung wird durch eine umgebungsabsolute ersetzt, was natürlich im Zusammenspiel mit der freien Kameraperspektive für ein gehörig Maß an Unübersichtlichkeit sorgt. Dass taktische Elemente (rückwärts gehen und dabei schießen sowie seitliche Flankenangriffe) wegfallen, gehört seit Urzeiten zum „guten Ton“ der Konsolensteuerung, als „Ausgleich“ gibt’s dann dann Ausweichrollen, welches natürlich extrem ungünstig ist, wenn man es mit mehreren Gegnern zu tun hat. Das Ganze sorgt dann für ein hektisches Kampfgeschehen, ein ständiges Durch-die-Gegend-Rollen in Kombination mit wilden Hack ’n‘ Slay-Einlagen ist die Folge, mit einem RPG klassicher, gereifter Art hat das nichts mehr zu tun.  Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Hexer Geralt nicht befähigt ist, auch nur einen Zentimeter hoch zu springen, was natürlich auch wieder die Bewegungsfreiheit sowie taktische Vorgehensweisen enorm einschränkt –  der PC-Spieler flucht, der Konsolero ist es kaum anders gewöhnt.

An gewisse Dinge kann man sich gewöhnen, muss man aber nicht automatisch, man darf ruhig herzhaft fluchen, aber auch abseits der dumpfen Steuerung, die natürlich immer ein Stück weit subjektiven Präferenzen folgt, ist das widerspenstige Waffenziehen und vor allem das stinknormale Gehen und Rennen ein Quell des Ärgers: da Geralt ja nicht springen kann, ist er an gewisse Pfade gebunden, diese werden gern mit Objekten aller Art begrenzt sowie versehen, was dann dafür sorgt, dass Geralt partout nicht an einer kleinen Kiste vorbeikommt (Drübersteigen gibt es nicht!) oder aber Stufe für Stufe der Serpentinentreppe folgen muss, statt einfach schnurstrakts geradedurch nach unten zu hüpfen.  Dies beeinflusst natürlich auch die Kämpfe, denn ist man am Ende eines Absatzes abgekommen, sei er auch nur 20 Zentimeter hoch, ist man zwischen Gegner und unsichtbarer Wand gefangen.
Apropos Springen und Hüpfen: statt flüssiger Übergänge und Aktionstaste gibt es bei jedem Hindernis eine haklig angesetzte Animation, die durch die primäre Feuertaste initiiert wird. Ich war schon kurz davor, es als Cutscene zu bezeichnen, denn dieses Element ist natürlich auch enorm präsent, um nicht zu sagen omnipräsent. Im Prolog (Spielzeit: etwa 20 Minuten) gibt es minütlich eine Cutscene,  natürlich samt ungünstiger Kamerafahrt -und distanz zum Avatar, nach welcher die Gesundheit Geralts wiederhergestellt ist. Von „flüssig“ oder „harmonisch“ kann also auch hier nicht die Rede sein, das gilt als solches auch für die Animationen im Allgemeinen, denn irgendwie staksen Geralt und alle NPCs stets durch die Gegend, statt geschmeidig zu agieren. Besonders in Nahaufnahmen und größeren Gefechten mag dies nicht gefallen. Der Verzicht auf Animationen beim Öffnen oder Durchsuchen von Schränken, Truhen, Leichen, das Kräutersammeln usw. usf. ist angesichts der Tatsache, dass NPCs weiterhin, wie schon vor 10 Jahren, AUF Betten schlafen, statt in ebensolchen,  ein weiterer Liter Wasser auf die Mühlen der Entwicklungsskeptiker. Die Abstinenz von Schleichen bzw. Ducken bringt dann das Fass der eingeschränkten Bewegungsfreiheit endgültig zum Überlaufen.

TW2 ist ein Paradebeispiel, wie eine Steuerung durch die VerKONSOLisierung gründlich versaut wurde. Gameplayrückschritte runden das Bild dann ab: nicht jede Leiche kann durchsucht werden, meist verschwinden die geöteten Opfer binnen weniger Sekunden, es gibt keinen Diebstahl und in Kämpfen konzentrieren sich die Gegner komplett auf Geralt, sobald dieser in unmittelbarer Nähe ist. Man blockt folglich einfach permanent deren Schwertschläge und schaut zu, wie zwo befreundete NPCs den Gegner von links und rechts attackieren. Solange keine Bogen- oder Armbrustschützen aus der Ferne den Helden aufs Korn nehmen, sind also auch größere Kämpfe eine ruhige Sache. Ins Getümmel sollte man sich nicht stürzen, die Steuerung verhindert ein präszises, koordiniertes Vorgehen, zudem ist die Kollisionsabfrage mieserabel, oft wird man getroffen, obwohl man locker einen Meter von des Gegners Schwert entfernt ist oder gar schräg hinter ihm steht.

Ich hatte nach den Preview-Screenshots, nach diversen Videos und Vorab-Eindrücken mit dem Gedanken gespielt, TW2 zu kaufen. Es machte einen richtig guten Eindruck, es sah nach einem Spiel aus, welches man wirklich hätte spielen können, welches nicht auf dem Larifariniveau von Gothic4 herumsuppt, doch die ersten Ingame-Videos nahmen mir dann doch die Hoffnung auf ein gescheites Spielerlebnis, von den Fehlern in Sachen Technik und Steuerung gar nicht zu sprechen. Wer dachte, dass Gothic4 nur einen Ausrutscher in Sachen Casualitis und VerKONSOLisierung darstellt, muss nun einsehen, dass C & Vnun zum Standard geworden sind. Letztlich kann man nur hoffen, dass „The Elder Scrolls: Skyrim“ eine Bastion darstellen wird, die nicht durch C & V überrannt werden wird.

 

JS für Orthy.de, C2011

 

Nachtrag: warum 4Players eine Wertungvon 84 Punkten vergibt und dies tut, obwohl die vielen Unzulänglichkeiten, Fehler und Probleme genannt werden, ist mir ein Rätsel.