Gibt es einen Qualitätsverfall bei Computerspielen?

die Ödnis der Wiederholung und die (Re)Transformation des Spiels zum Film

 

Langeweile – ja, wenn’s an Abwechlung mangelt, muss halt eine pompöse Inzenierung her. Wenn sich Spielabläufe bis zum Gehtnichtmehr wiederholen, muss die Grafik und der Sound für Ablenkung sorgen. Ist man nicht ganz bei Sinnen, funktioniert das auch. Der Schlüssel zur umfänglichen Betrachtung ist das wache Auge und vor allem ein Phänomen, welches für die Kinder und Jugendlichen von heute leider all zu oft nur aus der Ferne zu betrachten ist: die Konzentration. Nicht nur in der Schule wird die mangelnde Fokussierungskraft durchweg bemängelt, AD(H)S ist heute nichts Anormales mehr, der Wissenstand mag oft gar nicht so schlecht sein, doch die Ergebnisse sind es umso mehr. Der Mensch verlernt zunehmend auf sich selbst zu achten, er schiebt die Verantwortung gern ab und wenn keine aufnehmende Zielperson vorhanden ist, wird einfach das Gehirn ausgeschaltet. Letzteres ist teilweise zwingend notwendig, wenn man sich die krudesten Machwerke der Neuzeit anschaut: Astragon, dieser lustige, kleine „Simulator“-Spezialist, beweist seit geraumer Zeit, dass man zum Zocken zwar sehr wohl Augen und Ohren braucht, auch Finger sind ganz praktisch, doch innerhalb des Halsfortsatzes darf gähnende Leere herrschen. Die logische Folge: der Spieler wird vom Akteur zum Rezipienten degradiert, das passive und schlichte Konsumieren, das Wirkenlassen tritt an die Stelle des Agierens, des Änderns, des Erzwingens. Der Anteil filmischer Elemente (Cut-Screenes, geskriptete Ergeignisse, Briefings, In-Game-Videos aller Art etc.) nimmt zu, oft treiben erst diese die Story voran, erklären überhaupt erstmal die Story als solche (paradeexemplarisch: WarCraft) und die Einflussmöglichkeiten auf die Story nehmen ab. Der Spieler trifft nur noch Randentscheidungen, er ist dazu verdammt, einem festen Ablauf zu folgen und innerhalb dieser Grenzen geht die Kreativität verloren.

Vor allem die CD, einst gepriesen als Hoffnungsträger, dann zum realen Traum der Spieleinsdustrie geworden, bot plötzlich etwas an, was es vorher in dieser Form noch nicht gab: sehr viel und sehr preiswerter Speicherplatz. Gerenderte Zwischensequenzen, begleitende Filme, gar gepielte Filme (Lukas Arts „Rebel Assault„) ermöglichten die Transformation des Spiels zum interaktiven Film. Der Grad an Interaktion fiel auf ein grenzwertiges Niveau zurück, man steuerte nicht mehr das Raumschiff, sondern nur noch den Cursor. In endlosen Schleifen flog man auf vorgegebenen Bahnen um gegnerische Raumkreuzer und ballerte auf die Geschütze, ein taktisches Vorgehen war schlicht unmöglich, Handlungsfreiheiten gab es nicht. Dieses Spielprinzip ödete Spieler schnell an, zwar genoss man die Grafikqualität, doch die Nachteile fingen schnell an, extrem deutlich zu werden. So dauerte es nicht lang, beschleunigt vom technischen Fortschritt wie etwa 3D-Beschleunigerkarten (3dFX „Voodoo“), bis dieses Sub-Genre des Shooters verschwand. Doch wie soft und wie in den Bereichen der Mode und der Musik unzählige Male erlebt, war das Genre nicht gestorben, sondern wartete nur revitalisierungsfreundliche Programmierer und Designer, welche mit Resident Evil – the Umbrella Corporation den verläufigen Höhepunkt auf den Markt warfen. Mittlerweile spricht man vom „Rail-Shooter“, mittlerweile ist es grafisch eine andere Liga, mittlerweile sind auch die Eingabegeräte vielfältiger (z.B. Wii „Nunchuck“), doch am simplen Prinzip hat sich nichts getan. Nun kann man natürlich sagen, dass simple Spielprinzipien nicht automatisch „schlecht“ sind, Tetris „funktioniert“ ja auch seit über 20 Jahren, und dass v.a. für die Jüngeren zu komplexe Spiele ja nicht geeignet wären, doch darf man auch anhand des Beispiels RE:UC fragen, wieso man gerade ein „Survival Horror“-Spiel so dermaßen in die interaktive Banalität abdriften lässt. Auch in Bulletstorm (67% bei 1UP) wird dem Spieler alles vorgekaut, dennoch erlangt das Spiel bei Gamesradar die Höchstwertung. Eine marginale Handlungsfreiheit bei einem USK18-Spiel schadet also nicht? Besonders interessant, da „People Can Fly“, die für die Entwicklung von Bulletstorm verantwortlich sind, sich noch mit „Duty Calls“ über die Dummheit und Langeweile der Call-of-Duty Serie lustig machten.

Im Spagat zwischen „einfach“ und „banal“ liegt sowieso allzu oft die Schwierigkeit der Moderne, denn die Grenzen sind fließend und so darf man auch extrem erfolgreichen Spielen wie „Mass Effect“ und der „Call of Duty“-Reihe ein ganzes Stück Interaktivitätsdefizit unterstellen: „frei“ bewegen kann man sich dort nähmlich auch nicht immer. Während ME (und ME2) exzessiv auf ein Deckungssystem setzt, auch hier und da mal die Option bietet, dem Gegner in den Rücken zu rennen oder ihn von der Flanke her anzugreifen, so läuft man bei COD Modern Warefare 2 stets in einem klar definierten Schlauch, alternative Wege gibt es kaum, unsichtbare Grenzen dafür umso mehr. Die Schiene (Rail) ist breiter und der Verlauf kurviger, doch die angelegte Kette so kurz, die Wegpunkte so knüppelhart vorgegeben, dass man sich letztlich vorkommt, als bekäme man quasi jeden Schritt vorgegeben, als würde ein General dem Avatar nichts zutrauen und ihm deshalb quasi jeden Happen vorkauen. Der Spieler muss dann nur noch sieben Stunden lang den 50 Euro teuren Brei schlucken, nicht mal kauen. Der fade Beigeschmack des Babyhaftens erfreut nicht jeden, aber die Verkaufzahlen, die wirklich beeindrucken können, geben den Machern Recht – zumindest auf finanzieller Seite. Auch hier wird deutlich, dass nicht die Qualität über den Erfolg bestimmt, sondern andere Mechanismen sehr sehr stark bestimmend wirken. Das ist nichts neues, man denke nur an die Verkaufszahlen der unzähligen „Deutschland sucht den Superstar“-Opfer, an „Mega-Erfolge“ von Filmen wie Avatar und Titanic, die nur etwas fürs Auge und fürs Herz sind, nicht aber fürs Hirn, man denke nur an des ehem. Kanzlers namens Schröder, der einen Universitätsprofessor, einen Akadamiker, damit verbal diskreditierte, ihn einfach „den Professor aus Heidelberg“ zu nennen – der Trend, Hirn als etwas Negatives darszustellen, ist erkennbar und so unglaublich es klingen mag: es funktioniert! Horst Seehofer ist so beliebt, weil viele Wähler über ihn sagen „das ist einer von uns“, Dieter Bohlens und Eva Herrmanns Bücher verkauften sich prächtig, Drei-Groschen-Romane sind Evergreens, dumpfe Daily-Soaps, die fernab jeder Realität sind, laufen seit Jahren mit Erfolg, Doku-Soaps (ein in sich widersprüchlicher Begriff), Koch- & Talk und Gerichts-Shows ebenso – warum? Weil sie eine große Zielgruppe ansprechen, eine, die geistig abschalten will, die nicht interagieren, sondern konsumieren will, die Fassaden bestaunt, statt hinter sie zu schauen, die Phänomene hinnimmt, statt sie hinterfzuragen. Der Gläubige ist einfacher zu verführen als der Wissende, der Nichtwissende ist einfacher zu belügen und zu steuern, er ist kein Gegner, sondern ein Opfer. Ja, so kommt man vom Rail-Shooter zu den philosophischen Fragen der Menscheit, zu Themenbereichen wie Macht, Religion und Krieg.
Wiederholungen generieren Sicherheit, somit einen flotten Spielfortschritt, das hält den Spieler bei Laune und funktioniert teils so gut, dass der Spieler nicht einmal mitbekommt, dass er unterfordert wird.

Das Bottom-Up-Prinzip funktioniert als Syntheserichtung in diesem Falle, doch nur wenn man sich darauf einlässt. Über den eigenen Schatten zu springen, ist heutzutage oft schwieriger als man denken (bzw. vermuten!) mag, weil dies viele nicht nur nicht gewohnt sind, sondern gar noch nie getan haben. Es darf (wirklich!) schwerfallen, ein Barbie-Dess-Up weniger zu kritisieren als den neusten, grafisch überwältigenden Weltkriegsshooter. Dabei wurde ja noch nicht einmal der „Skandal“ in Modern Warfare 2 (Flughafenszene: Massenmord an Zivilisten) betrachtet, über die Indizierung des Spiel bzw. von Spielen allgemein. Im Falle von MW2 ist die Sache eigtl. auch recht simpel: der Skandal ist ganz bewusst geplant und vollendet worden, die virtuelle Abbildung der Realität ist so geschmacklos und so überflüssig wie die Terror-Akte selbst. Über Geschmack lässt es sich streiten, von „unmenschlich“ zu sprechen, ist aber falsch, denn es waren ja schließlich Menschen, die Terror-Akte verübten, nur eben keine „guten Menschen“, keine „sozialen“, sondern hirnlose Marionetten gewissenloser, von Machtgier besessener Irrer. Das hat in einem Spiel nichts zu suchen, das muss nicht gespielt werden, die Realität ist grausam genug, alsdass man sie virtualisieren müsste. Die moralische Ebene ist eine Seite, dieser will ich mich aber gar nicht großartig widmen, wobei die Untersuchung des Emergent Gameplays durchaus reizvoll ist.

Das Genre des Rollenspiels ist hier an sich, klassischer Weise, die Ausnahme, mit „Arcania – Gothic 4“ ist aber die unidirektionale Dimension „Spiel > Spieler“ auch hier angekommen, mit einer desaströsen Folge: selbst hier, in einer der letzten Oasen des Zockers, hält das „casual“-Element Einzug, die Reaktionen sind deutlich, die ersten Verkaufszahlen sehr bescheiden, auch wenn Publisher Jowood das anders sieht. Hoffentlich wird dieses Warnzeichen nicht übersehen! Dennoch gilt es nicht in die Interaktivitätsfalle zu tappen, denn wenn Markku Eskelinen schreibt „the dominant user function in literature, theater and film is interpretative, but in games it is […] configurative“ gilt es zu beachten, dass selbst simpelste konfigurative Elemente schon ausreichen, eine rein perzeptionistische, also passive Rolle zu verlassen. Da man auch bei Gothic 4 einige Wahlmöglichkeiten hat (Items, Skillpunkteverteilung), muss man auch diesem Spiel zugestehen, dass es ein wirklich ein Computerspiel ist. Es mag schwer fallen, v.a. wenn man zu jenen gehört, die über alle Maßen enttäuscht von Gothic 4 sind, aber auch hier hilft das Festhalten am Wehn’schen Dispositiv. Das hat sich wohl auch Oliver Hall von Technic3D gedacht und eine erstaunlich positive Wertung vergeben. Ich mag stark bezweifeln, dass Herr Hall den Begriff Dispositiv kennt, das spielt aber auch keine Rolle, denn angesichts des „Tests“ hat der mitdenkende, kritische Leser eh eine ganz andere Frage vor den Augen: „Hat der Hall auch nur den blassesten Schimmer, was man unter einem „Rollenspiel“ versteht?“ Was für bei Hardware-Tests gilt, gilt natürlich auch für Software- bzw. Spieletests, Wahrnehmungsstörungen, Korruption, Inkompetenz und Award-Geilheit inbegriffen.

Bei solchen (Un)Simulationen wie von Astragon gibt es selten abweichende Meinungen, kniffliger wird schon bei echten Schwergewichten wie Diablo, Call of Duty, WoW oder Need For Speed, denn Fans der jeweiligen Spieleserien oder Einzeltitel sind knüppelharte Verfechter, glänzen mit einem wahnsinnigen Detailwissen und – ja, haben letztlich ihren Spaß, einen teils sogar sehr sehr langfristigen. Das Spielprinzip bei CoD ist ein simples: „geh hier hin, schieß, triff, geh weiter“. Bei WoW schaut es kaum anders aus: „erledige X, plündere ihn, freu dich über die Items“. Need For Speed hat sogar eine komplette Wandlung erfahren: im 1. Teil fuhr man nicht mit getunten Wagen über Rundkurse oder durch eine glitzernde Stadt, man investierte kein virtuelles Geld in Flip-Flop-Lack oder Tribal-Sticker und obwohl die KI grausam war, die Frustrationsereignisse übermächtig und Potenzial en mass verschenkt wurde, regnete es Top-Bewertungen für das Spielchen. Maßgeblich für den Wandel war ein Filmchen, welcher so herrlich primitiv wie optisch aufreizend war: „The Fast and the Furious“ – bildungsferne Schichten auf der Suche nach dem Sinn des Lebes, welcher sich in der Re-Materialisierung verlorener Männlichkeit manifestiert. Nicht im Wissen, nicht im sozialem Engagement, nicht in Umwelttechnologie, nein, in Raserei, Machotum und stupiden Dialogen. Nun endlich, mit NFS WORLD wurde endlich mal auch von seiten der Testen die Handbremse gezogen und Tacheles geredet. Mir kommt gerade ein Spiel in den Sinn – „Autobahnraser“ hieß es und wurde damals (1998) korrekter Weise verrissen, wobei die PC-Action und die PC Games sich hier mal wieder mit Ignoranz blamierten. Doch auch die schlechten Kritiken änderten nichts am finanziellen Erfolg, an sieben (!) Fortsetzungen, fünf Ablegern und einer filmischen Umsetzung anno 2004 durch RTL. Dass dieses dumpfes Werk mit viel Spott belegt wurde, tut der Seele gut.

 

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