Gibt es einen Qualitätsverfall bei Computerspielen?

Am Gelde hängt’s, zum Gelde drängt’s

 

Mit dem steigenden Aufwand für ein Spiel steigt auch das finanzielle Risiko, denn verkauft sich das Spiel nicht oft genug, steht ein dickes Minus in den Geschäftsbüchern, Spieleschmieden stehen vor dem Aus. Vor 10 oder 15 Jahren, als ein Programmiererteam noch aus einer Hand voll Leuten bestand, als die gesamten Entwicklungskosten noch in 6-stelligen Dollar-Bereichen lagen, als auch kleinere Spieleschmieden noch paralell an mehreren Projekten arbeiteten, konnte man sich einen „Flop“ erlauben. Heute, in einer Zeit, in der Entwicklungskosten (inkl. Werbung) gern mal 10 Millionen Dollar betragen, ist ein Flop nicht mehr nur ein Nackenschlag, sondern gern auch mal ein Knock Out. Unterliegt man dem Paradigma der Gewinnmaximierung (Kernpunkt des „Kapitalismus“), ist die Marktsondierung, die Werbung und das Ausnutzen aller erdenklichen Potenziale das A und O für das finanzielle Überleben. Da geht es Blizzard und Electronic Arts nicht anders als Volkwagen, Vodafone, Bitburger und den politischen Parteien. Ob Euro oder Wählerstimmen – das Grundprinzip bleibt gleich. Man muss sich also mit dem Massengeschmack auseinandersetzen, genau erkennen, was die Masse will, folglich Klientelforschung betreiben und die Produkte anpassen. Die Folge ist eine Flut an Durchschnittsware, die pompös beworben wird, die den gleichen Werbe- und Persuasionmechanismen unterliegt wie Bio-Joghurt, Kinderschokolade oder Smartphones, und die daher wahrlich propagandistisch daherkommt. Wenn Codemasters schreibt: „In F1 2010 erlebst du die FORMEL 1 so hautnah und realistisch wie nie zuvor.“ dann ist das glatt gelogen, es ist kein Euphemismus, es ist keine emotionale Übertreibung. Ein lächerliches Schadensmodell, das Fehlen von Streckenposten und Safety Car, wild errechnete statt real gefahrene Rundenzeiten, eine KI unter der Käseglocke, der Boxenstopp als Zurückfallgarantie dank schlafender Crew und ein Blinder am Boxenfunk zeugen NICHT von Realität. F1 2010 ist das aktuelle Paradebeispiel für ein Spiel, welches durch Zeit- und Kostengründen nicht „fertigprogrammiert“ wurde. „Die Saison nähert sich dem Ende, das Spiel muss noch schnell auf den Markt!“ war sicher ein täglich mehrmals zu hörenden Spruch bei Codemasters. Der kritische Gedanke „ob das wohl gut geht?“ wurde durch „kooperative“ (blinde?) Tester beruhigt, selbst bei 4Players drückte man beide Augen zu und vergab ein „sehr gut“. Codemasters sah keinen Grund für einen Patch bzw. ein Update, das hat sich mittlerweile deutlich geändert. Die Bug-Fixes-List ist lang, doch noch immer nicht ausreichend, von sporadischen BlueScreens, der Zerstörung von Savegames, einbrechenden Frameraten unter DX11, dem bestehenden Problem der willkürlichen Reifenplatzer bis hin zu den weiterhin ausgewürfelten Rundenzeiten und den Fahrverhaltenproblemen ist vielerorts zu lesen – Codemasters hat das Fundament auf Sand gebaut und kann es nicht stabilisieren. Die Enttäuschung ist perfekt. Hier und da gibt es auch klare Aussagen, die deutlich machen, welch enormer Zeit- und Gelddruck besteht und was das „ausnutzende Steam“ oder „Games4Windows“ für die Entwickler eben leider auch bedeuten. Neues ist wahrlich nicht immer gut und an sich ganz schlaue Ideen können ohne Probleme einem totalen Wandel unterliegen und sich selbst zerstören. Manchmal ist das Altbewährte (Datenträger in schöner Verpackung im Laden kaufen & Spielstände lokal speichern) eben doch der beste Weg, wenn er auch etwas umständlicher sein und wenn er auch „altbacken“ anmuten mag.

Der Klassiker, auf Altbekanntes zu setzen, daher Fortsetzungen zu produzieren, ist in der Welt der Filme seit einigen Dekaden und in der Welt der Bücher noch länger existent, dass Ubisoft daher in problematischen Zeiten auf „eine gute Profitabilität mit wenig Risiko“ setzt, ist marktwirtschaftlich zu verstehen, doch eben auch eine Art Knockout für „wirklich neue“ oder „spezielle“ Spiele. Der Gigant wird träge, fokussiert sich auf gewohnte Kost und setzt Scheuklappen auf. Dies bedeutet aber auch gleichzeitig eine Chance, denn dank der eingeschränkten Blickfelder der Platzhirsche können kleine Konkurrenzen den Windschatten nutzen und z.B. im Falle lizenzierter Grafik-Engines wie CryEngine und Unreal sich viel Entwicklungsarbeit sparen, damit das Kostenrisiko verkleinern und auf Inhalt statt Präsentation setzen. Erwähnenswert z.B. das legendäre Deus Ex, das schräge Borderlands, die Online-Multiplayer-Kracher Enemy Territory und natürlich Counter Strike, aber auch die Rollenspiele wie z.B. der Überraschungstitel namens Venetica. Auch „total conversions“ wie das exzellente Nehrim und umfangreiche Projekt 5.56 FMJ für Doom 3 profitieren von der Möglickeit des Nutzens bereits bestehender Engines, im Optimalfall natürlich kostenlos (OpenSource). Viele Stunden Spielspaß sind möglich und dies kostenlos! Nur eben nicht grafisch als State of the Art zu bezeichnen und bei weitem nicht so bekannt wie die Originaltitel, da es natürlich an großen Budgets zur Ölung der Werbemaschinerie mangelt. Dass nun aber Herz statt Dollar und Engagement in der Programmierung statt in der Vermarktung gar nicht so schlecht, wird klar aufgezeigt.

Weil dank unzähliger Mods die Fangemeinden vieler Spiele über einen sehr langen Zeitraum bestanden und bestehen, bei Counter Strike z.B. seit satten zehn Jahren, konnten die Erschaffer der Ursprungsspiele nicht tatenlos zusehen, dass Geld an ihnen vorbeischwimmt, Potenziale nicht genutzt wurden. Um die Fans zu binden, ihnen noch etwas Geld zu entlocken, kann man allerlei Wege beschreiten: spezielle Editionen, Lösungsbücher, Merchandising aller Art und eigensproduzierte kostenpflichtige AddOns sind nichts neues, im Zeitalter der schnellen Internetverbinung mussten also „Online-Gaming“-Plattformen entwickelt werden, der Pionier namens STEAM hatte zwar keinen leichten Start, denn viele Käufer ärgerte es, dass Half Life 2 nicht ohne Steam-Account zu spielen war, doch mittlerweile hat sich STEAM etabliert und setzt Abermillionen um.

Die „Durchkommerzialisierung“ lässt sich am Beispiel Counter Strike gut darstellen: anfänglich (Mitte 1999) bastelten eine Hand voll Fans, allen voran „gooseman“ und „cliffe“, an einem taktiklastigem Shooter auf Basis des vielfach prämierten, wegweisenden 3D-Shooters Half Life, die Arbeit bekam viel Zuspruch, der Nerv der Zeit wurde getroffen, wenn auch ein damals übliches 56K-Modem für miese Verbindungen sorgte, und das Projekt nahm an Fahrt auf. Nach unzähligen LAN-Parties, neue Szenarien, Waffen und Verbesserungen aller Art war „CS“ eines der beliebtesten (und umstrittensten) Spiele des jungen Jahrtausends. Clans, Meisterschaften, Ligen, Turniere, Preisgelder – eine neue Marke war geschaffen und das Spiel gab es weiterhin Kostenlos, man musste nur Half Life besitzen. Das konnte sich Entwickler VALVE und Publisher SIERRA (dann von Electronic Arts aufgekauft) nicht ganz passen und siehe da: Mitte 2001 kam die Retail-Version für rund 20 Euro (PC-Version) in den Handel.
Bis Ende 2008 wurden 4,2 Millionen Exemplare verkauft, auch als zensierte Version (mit gelbem Blut für den dt. Markt). Die auf die XBox portierte Version kostete satte 60 Euro, ließ sich (Gamepad sei Dank) bescheiden bedienen und konnte online nur über das kostenpflichtige XBox-Live System gespielt werden, im Einzelspielermodus gab es grenzdebile Bots. Trotzdem verkaufte sich diese Version 1,5 Millionen mal. Aus dem eine gewisse Fassungslosigkeit ausdrückendem Spruch „alder, wasn nub ey!“ („Oh Mann, welch blutiger Anfänger!“) wurde schnell der Spruch „lol! is bestimmt n xboxer!“ („Ich lache mich schief, der Typ spielt CS sicher an seiner XBox, daher auch so grottenschlecht“).

Kommerzwahnsinn – weder ein neues, noch ein seltenes Phänomen. Dass auch bei Computerspielen die gleichen strukturellen Probleme auftauchen, ist also kein Wundern, sondern einfach nur logisch. Und ärgerlich!

 

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