Gibt es einen Qualitätsverfall bei Computerspielen?

Aller Anfang ist … simpel

 

Der Fokus auf die Geschichte des Computerspiels muss nur runde 20 Jahre erfassen, denn erst Anfang der 90er wurde das, was heute als „Computerspiel“ bekannt ist, erst richtig populär im mehr oder weniger kommoden Zuhause. Natürlich gab es vorher den C64, den Amiga500, auch auf den alten Schneider-PCs konnte man tatsächlich zocken, doch mehr als kleine Pixelhaufen in einer 8-Bit-Farbpalette waren nicht möglich. Es waren Geschicklichkeitsspiele à la Pong & Tetris, mal ein Text-Adventure (ja, ohne Bilder, nur Text!) und von Parallax-Scrolling konnte man nur träumen, von DirectX ebenso, „3D“ war damals noch „3 Dasden zum druffdrüggn“ – es hat sich viel getan, und das ist auch gut so! Wagen wir also den Sprung ins 486er-Zeitalter, vll. gleich zum Beginn der Pentium-Ära: bis Mitte der ‚ 90er verbrachte der PC-Spieler Stunde um Stunde an Zak MacKracken, Day of the Tentacle, NASCAR Racing, Aces over Europe, Doom, Wolfenstein, Strike Commander (eine Flug-Sim MIT Story!), One Must Fall – alles Klassiker, alles fesselnde Spiele – zumindest zu dieser Zeit. Heute schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen ob der Grafik, des Sounds und der Steuerung. Die Technik hat enorme Fortschritte gemacht, aber gelang dies auch der inhaltlichen Ebene? Meine Antwort umfasst ein Wort: „Jein“. Die passende These dazu ist auch nicht viel länger: „Das Computerspiel passt sich den Menschen, v.a. den Konsumenten, an.“ Um eines vorweg zu sagen: das ist nicht automatisch etwas Negatives, aber leider allzu oft auch nichts Positives.

 

Neuerungen, Entwicklungen und Althergebrachtes

 

Eine meiner Dozentinnen brachte es vor Jahren mal auf den Punkt: „Sie denken ja gar nicht, was schon alles gedacht wurde.“ – OK, hier ging es um Marx, Smith, Habermas und Luhmann, richtig deftiges soziologisches Gedankengut und Gedankenschlecht, aber nimmt man sich die ganzheitliche philosophische Basis zur Brust, kommt man schnell auf die Lösung eines Rätsels: etwas wirklich komplett Neues gibt es nur extrem selten, denn irgendwie wurde irgendwo und irgendwann alles schon mal auf den Bildschirm gezaubert. Bei Grand Prix (Microsprose) war die Boxencrew einst unsichtbar, bei Grand Prix 2 bestand sie aus Bitmaps, bei F1 Racing Sim (Ubisoft) sah man simple Polygonmodelle und heute, bei F1 2010 (Codemasters), sind es durchaus detaillierte Abbildungen der Realität. Der debil dreinblickende Typ, der vor meinem Boliden stocksteif rumsteht, ist womöglich das virtuelle Ego eines Entwicklers, aber sei es drum. Oder nicht? Ich z.B. frage mich, warum ich den selben Typen immer habe, bei jedem Team, und warum mein Ingenieur immer Marc heißt. Sie mögen jetzt denken: „Ach, das ist aber echt pingelig!“, doch nicht so voreilig geurteilt! Gerade solche Kleinigkeiten sorgen für den Unterschied zwischen einer toten virtuellen Welt und der angestrebten lebendigen Version. Es geht nicht um Action, auch muss der Humor nicht Allerends zu sehen sein, nein, es geht um Detailtreue – und hier packen die Entwickler, vor allem natürlich die Grafiker, lieber noch eine Reflektion hier, einen Partikel da und eine Polygon dort hin. Auf den ersten Blick schaut es verdammt gut aus, doch langweilt es auf Dauer! Der Informationsflut sei dank leben wir im Déja-vu-Zeitalter, unser Gehirn kann gar nicht mehr alles verarbeiten, sodass das Unterbewusstsein immer häufiger Signale des „Moment-mal!-Das-habe-ich-doch-schon-irgendwo-mal-gesehen!“ sendet. Hat man die erste Phase der Betrachtung, oft einhergehend mit WOW!-Effekten, überstanden und widmet man sich den Details, kehrt oft Ernüchterung ein. Vor 10 oder 20 Jahren konnte man schneller, ja unmittelbar „hinter die Grafik“ schauen und das Gameplay betrachten, die Künstliche Intelligenz ausloten, doch heute, wo viele hinter den Vorhang der Optik gar nimmer schauen können oder wollen, trennt sich die Spreu vom Weizen, der „Zocker“ vom „Daddler“. Ersterer nimmt ein Spiel durchaus etwas ernst, will mit dem Spiel spielen, letzterer hingehen daddelt zum Zeitvertreib oder zur Ablenkung, gibt sich keine Mühe und hat keinerlei Ambitionen, in die Tiefe zu gehen – das hat den gigantischen Vorteil, dass man sich hiermit vor Enttäuschungen und vor Frustration schützt. Der Zocker, in all den individuellen Ausprägungen natürlich, in der stärksten „Core-Gamer“ genannt, will mehr und da er nicht einfach seine Zeit vertreiben will, kommt ihm dann später, meist jedoch früher, die Langeweile vor Augen.

Wie komplex ein Spiel gestaltet ist, hängt natürlich immer vom Genre ab: ein Jump ’n‘ Run-Spiel wie „Super Mario“ oder „Jazz Jackrabbit“ ist etwas komplett anderes als ein Open-World Rollenspiel wie die Serien namens „The Elder Scrolls“ oder „Ultima“. Ein Arcade-Racer ist weniger komplex als eine Rennsimulation, ein Point ’n‘ Click-Adaventure ist etwas anderes als ein Beat’em Up – dennoch haben alle Formen ihre Daseinsberechtigung, primär natürlich geprägt von der Zielgruppe, bei welcher das Alter die entscheidende Rolle spielt. Ein Sechsjähriger kommt mit Jump ’n‘ Run schnell klar, ein Echtzeitstrategiespiel wie „Dune“ oder „Command and Conquer“ hingegen ist in etwa so geeignet für ihn wie eine Hayabuza statt eines Kinderfahrrades – Lesen und Denken entwickeln sich ja und solange man nicht lesen kann, wird es „etwas“ knifflig Spiele zu spielen, die mehr als nur Cursor-Bewegungen und Klicken vorraussetzen. Flash-Spiele wie „Dress-Up“-Games kann auch die Vierjährige schon spielen, das soll sie auch ruhig, das frühe Erlernen des bewussten Umgangs mit Medien ist wichtig, dies verstehen auch langsam sehr konservative Geister. Wir „alten Säcke“ der „Ü30-Liga“ müssen es ja nicht spielen, ist ja auch gar nicht für uns gedacht. Lernspiele aller Art sind auf dem Vormarsch, auch das ist zu begrüßen, von der Verkehrserziehung über Mathe-Spiele und Rechtschreibtrainer bis hin zum Erlernen von Fremdsprachen – der Computer und die Konsole bieten mittlerweile wunderbaren Plattform, die es zu nutzen gilt. Auch das alte Thema der Hand-Auge-Koordination und der Schulung von Konzentration bzw. des Reaktionsvermögens kann nicht von der Hand gewiesen werden. Dass Augen vom langen Starren auf den Schirm nicht rechteckig werden, wurde mittlerweile ja verifiziert, auch wenn so mancher im Bildschirm noch ein Teufelswerk sieht – die Entwicklung ist positiv und so sie wachen Hirnes und offenen Auges fortgeführt wird, könnte in nicht mal zehn Jahren die Vorschule schon virtualisiert werden. Die „Sache mit der sozialen“ Kompetenz steht natürlich auf einem anderen Blatt, aber genau hierfür soll ja das Hirn wach sein. Das Werkzeug darf nicht zum Selbstzweck verkommen, die Technik nicht aus reinen Machbarkeitsgründen genutzt werden, die Technokratie-Philosphen haben das vor über 80 Jahren schon festgestellt (Henry Smith, Jaqcues Ellul bis hin zu v.a. Neil Postman), und damals gab es weder TV noch das WWW.

Wenn man sich „abreagieren“ will, kann man auf einen Boxsack einschlagen oder joggen, man kann aber auch eine Runde „Tekken“ zocken. Einen gemütlichen Abend kann man sich im Kino, bei einer Live-Übertragung eines Sportereignisse im TV oder eben in geselliger Runde bei „Guitar Hero“, „Wii-Sports“ oder auch ganz allein bei „Bioshock“ machen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen! Die liberale Sichtweise auf die Möglichkeiten ist aber nur die Basis zur Akzeptenz der Mannigfaltigkeit, ein Mittel zur Toleranz des Objektes an sich, nicht aber ein Freifahrtsschein für die Ausgestaltung des Objektes. Quantitativ betrachtet, gibt es heute „alles“, qualitativ betrachtet ebenso, dies impliziert jedoch leider auch die Existenz von mindertigen Objekten, also von richtig üblen Spielen, über welche sich der Käufer mehr als nur „leicht echauffiert“ und dies auch darf und ebenso tun muss. Man darf nicht alles tolerieren, das gilt nicht nur in demokratistischen Systemen wenn es um Extremisten geht, das gilt nicht nur in kapitalistischen Systemen, wenn z.B. die Gewinnmaximierung über die Benutzungssicherheit gestellt wird, das gilt auch für den großen Bereich des Entertainments und genau hier sind Computerspiele ja ein enorm großer Faktor, wir sprechen hier von mehr als 2,5 Milliarden Euro anno 2010 – das bietet Chancen, ist aber auch mit Gefahren verbunden, und wenn es um das eigene Geld geht, hört der Spaß schneller auf, als man vll. annehmen mag. Im „Web 2.0“ gibt’s Feedback in direkter, deutlicher Weise, individueller und schneller als je zuvor und was man immer öfter lesen muss, sind sehr unerfreuliche Aussage.

Geht es generell bergab mit der Qualität? Einfach zu beantworten ist dies nicht, man muss sich den einzelnen Teilbereichen widmen.

 

…auf der nächsten Seite: am Gelde hängt’s, zum Gelde drängt’s