Gibt es einen Qualitätsverfall bei Computerspielen?

Wer glaubt, in „Killerspielen“ läge das größte Gefährdungspotenzial, der irrt. Wer glaubt „Casualitis“ wäre ein Cashew-Nüsse befallender Pilz, liegt auch falsch. Wer hingehen z.B. annimmt, Käufer von Computerspielen würden ungefragt als Beta-Tester fungieren, liegt richtig. Das liebe Geld, die bösen Spielekonzerne, sich benachteiligt fühlende PC-Spieler, die Genese einzelner Genres und der Niedergang ganzer Spieleserien und Entwicklungsstudios ergeben ein unschönes Bild. Es ist an der Zeit, ein Schiff der umfangreiche Betrachtung vom Stapel zu lassen.

 

Ich kritisiere ja schon seit Jahren den „Qualitätsverfall“ bei Computerspielen und da bin ich ja nicht der einzige, über Machwerke dumpfer Natur regen sich viele Zocker auf – zu recht! Auch über das vielbejubelte Half-Life 2 bin ich schon hergezogen – suchen Sie mal ein Print- oder Onlinemagazin, welches so klare Worte findet! Steckt hinter allem ein System? Sind es nostalgische Gedanken, welche die Vergangenheit in einen bunten Schleier des herrlichen Amüsements wickeln? Ist der Frust von heute die Folge von Erfahrungen? Erwartet der erfahrene Spieler einfach zu viel? Geht es den Enwicklern und Publishern nur noch um das liebe Geld? Ja, viele Fragen, also gehen wir sie an.

 

Da wäre vorweg noch etwas zu klären …

Die Genese des Spiels reicht weiter zurück als die des Subgenres „Computerspiel“ und letzteres ist nicht allein dem Personalcomputer vorbehalten, denn es existierte ja schon früher in den Spielhallen der 1980er Jahr und heute, stärker denn je, auf Spielkonsolen aller Art. Es handelt sich um Plattformen, die letztlich alle Computer sind, nur eben mit einer unterschiedlichen Architektur und Verpackung daherkommen, im Kerne jedoch gleich sind. Wenn also von einem Computerspiel die Rede ist, ist nicht allein das PC-Spiel gemeint, der Terminus umfasst ebenso die Konsolen-Plattformen Playstation, X-Box, Wii, MegaDrive, Gameboy, NES, Atari 2600 und so weiter und so fort sowie Spielautomaten und die portablen Geräte. Auch sollte man vorweg den Begriff „Spiel“ ein Stück weit definieren, was nicht ganz einfach ist, denn jeder versteht darunter etwas anderes. Nun will ich nicht in die Tiefen der Ludologie eintauchen, doch ein gewisser Exkurs in die Philosphie sei erlaubt.

Für die einen ist das ganze Leben ein Spiel, so mancher spielt auf dem Börsenbankett, wieder andere gar mit Leben, LEGO und Doppelkopf sind auch Spiele – gleich ist allen Ausprägungen die Art des Umgangs mit einem Phänomen, eine lehrreiche Version, eine gewissen Regeln („der magische Zirkel“ von Katie Salen) unterliegende Vorgehensweise innerhalb einer jeweils gesondert zu betrachtenden Arena, deren Ausprägungen wiederum extrem mannigfaltig sind und deren Ziele stets individuell. LEGO eignet sich prima zur Verfeinerung der Motorik, Zauber- und Bastelkästen trainieren Fingerfertigkeiten, jedoch auch das logische Denken, von Trail & Error bis hin zur analytischen Methodik, vom Siegen und Verlieren bis hin zum Betrug, vom Fluchen und Resignieren bis hin zum schnöden Zeitvertreib und der Bekämpfung der Langeweile – das Feld ist groß, das Feld ist weit, die Pflüge variantenreich. Heutzutage kann man unzählige Spiele und Plattformen kaufen, für quasi jedes Alter und jede Interessenlage gibt es das Passende, und auch wenn der erfahrene Spieler sich heute natürlich nicht dem virtuellen Ponyhof widmet, so muss er sich doch der Bedeutung dieses Spiels bewusst werden: es ist für kleine, pferdeverliebte Mädchen gedacht – die leben in einer ganz anderen Gedankenwelt, welche man(n) nicht nachvollziehen können muss, aber eben auch nicht ignorieren darf. Der Zwölfjährige ist natürlich scharf auf den neusten „Call of Duty“ Titel, betrachtet ihn aber mit ganz anderen Augen als der Vater, der schon den ersten Teil spielte, der schon Anfang der ’90er bei „Wolfenstein“ und „Doom“ gegen die Bösen mit virtuellen Kugeln kämpfte. Gerade im Blickwinkel des Individuums liegt ein gigantisches Problem: die Wahrnehmung ist stets subjektiv, die Erfahrungen und Impressionen des jeweligen Spielers können das Bild enorm verzerren, tun es auch oft, seine Herangehensweise derart prägen, dass total unterschiedliche Bewertungen herauskommen und selbst erfahrene Mediatoren die Segel streichen müssen. Wie immer ist der Mensch an sich mit seiner begrenzten Sicht folglich das Problem, nur darf man sich hiervon nicht abschrecken lassen, den Menschen zeichnet eben auch aus, dass er über den Tellerrand hinausblicken kann. „Kann“, nicht „immer tut“!

Es sei an dieser Stelle erlaubt, den guten alten Michel Foucault aus der Philosophie-Truhe zu hohen, sich seinen „Dispositiv“ zu schnappen und folgende Kernaussage im Hinterkopf zu behalten: „Mit Hilfe des Begriffes ‚Dispositiv‘ gelingt es der Analyse, ein bestimmtes Verhalten, einen Diskurs, ein bestimmtes Selbstverhältnis etc. zu fokussieren und danach zu fragen, was seine jeweilige Akzeptanz ermöglicht.“ Ergänzend hierzu die Adaption von Karin Wehn: „Die Leistung des Dispositiv-Begriffs besteht darin, ansonsten getrennte Bereiche als Gesamtzusammenhang zu sehen, Wechselwirkungen zwischen technischem Apparat und Zuschauerwahrnehmung deutlich werden zu lassen sowie historische Veränderungen von Dispositiven plastisch zu machen.“ Wagen Sie also mal das Rollenspiel, jedoch jenes im realen Leben, nicht das auf dem PC! Eignen Sie sich diese Akzeptanzvorkehrung an und lassen Sie Tellerrand und Joystick hinter sich!

 

…auf der nächsten Seite: Blicke in die Vergangenheit